Was passiert, wenn Unternehmen nicht mehr länger nur über Künstliche Intelligenz sprechen, sondern sie handeln lassen? Dieser Bericht nimmt Sie mit auf die Kulissen des 54. St. Galler Anwenderforums, das am 1. September 2025 von der Universität St. Gallen veranstaltet wurde, wo Agentic AI zum Greifen nah wurde.
Ein Startschuss mit Haltung
Philipp Ebel von der Universität St. Gallen eröffnete das 54. Anwenderforum unter dem Thema „Preparing for Agentic AI“. In seiner Keynote skizzierte er, wohin die Reise geht, wenn aus passiver KI aktive Intelligenz wird. Es entstehen Agenten, die selbstständig planen, Probleme lösen, mit Tools interagieren und sich an veränderte Umstände anpassen. „Agentic AI wird nicht nur Technologien verändern“, so Ebel, „sondern auch Prozesse, Governance und Unternehmenskulturen grundlegend beeinflussen.“
Agenten folgen keinem starren Prozess, sondern sie verfolgen ein Ziel und passen den Weg dorthin selbstständig an. Das macht sie flexibel, adaptiv und leistungsfähig, aber auch unberechenbarer. Unternehmen müssen lernen, mit dieser Dynamik umzugehen. Die HSG hat genau diesen Wandel eindrucksvoll auf die Bühne gebracht: fundiert, vernetzt mit der Praxis und stets mit Blick auf das, was wirklich zählt – die Umsetzung.
Swisscom: Mutig, messbar, menschlich
Jaime Ramirez, Leiter Data & AI bei Swisscom, machte unmissverständlich klar: „Die Zukunft wartet nicht. Don’t wait for AI to be perfect“. Mit dem eigens entwickelten SwisscoGPT, das bereits eine Adoptionsrate von 70 Prozent erreicht hat, wurde gezeigt, wie schnell Wandel möglich ist. Dabei stand nicht nur Technologie im Fokus, sondern auch ein klarer Realismus, denn KI muss funktionieren und zwar messbar, sicher und vor allem anwendbar. „AI muss adoptierbar sein“, betonte Ramirez, ein Satz, der hängen bleibt und der deutlich macht, dass es bei der künstlichen Intelligenz darum geht, sie so zu gestalten, dass sie von den Menschen genutzt werden kann. Swisscom zeigte, wie man Mut mit Struktur verbindet, Mitarbeitende aktiv einbindet und aus technischer Innovation echten kulturellen Fortschritt macht.
Karl Storz: Struktur, Vertrauen, Teilhabe
Michael Stadler von Karl Storz schilderte die Einführung von Agentic AI nicht als Projekt, sondern als Prozess, der von innen kommt. Der Start war eine breite Sammlung von Use Cases mit über 120 Ideen aus dem Unternehmen selbst. Daraus entstanden KI-Richtlinien, neue Prozesse, interne Schulungsformate wie „Prompting Challenges“ und eine starke AI-Community. Das Ergebnis: 91 Prozent der Copilot-Lizenzen sind aktiv im Einsatz. Zentral war dabei die Nutzung eines EAM-Tools wie bspielsweise ADOIT, um KI-Anwendungen systematisch zu dokumentieren und steuerbar zu machen. So wurde Agentic AI bei Karl Storz nicht nur implementiert, sondern auch organisatorisch und kulturell verankert.
Die HSG-Studie GenAI 2025
In seiner Präsentation der GenAI-Studie 2025 brachte Jan Marco Leimeister, Direktor des Instituts für Wirtschaftsinformatik an der HSG, es auf den Punkt: „Es gibt nicht das eine Modell.“ Damit ist das sogenannte Target Operating Model (TOM) gemeint, also der strukturelle Zielzustand einer Organisation für den erfolgreichen Einsatz von GenAI. Ein Standard fehlt noch, doch die Forschung bietet Orientierung.
Die Studie zeigte deutlich, dass nicht die Technologie, sondern die Geschwindigkeit, mit der Unternehmen diese Technik integrieren können, den Engpass darstellt. Ohne integrierte Daten, adaptive IT-Architekturen und kontinuierliches Lernen bleibt Agentic AI unvollständig. Leimeister forderte deshalb lernfähige Strukturen statt starrer Hierarchien und empfahl den Wechsel zu einem Hub-and-Spoke-Modell, das Dezentralität mit zentraler Steuerung vereint. Agentic AI verlangt mehr als nur Tools, nämlich ein neues Denken in Organisation, Verantwortung und Führung.
UBS: Wenn Führung neu gedacht werden muss
Georg Langlotz von der UBS machte in seiner Keynote deutlich, wie radikal der Wandel ist. „KI-Agenten werden bald Mitarbeitende in ihrer Anzahl übertreffen“, sagte er – und was das bedeutet, ist weitreichend. Führung in Unternehmen bedeutet künftig nicht nur, Menschen, sondern auch Agenten zu führen. Es geht um Produktivitätsgewinne, aber auch um eine strategische Neuverteilung von Aufgaben: Die Menschen bleiben zwar zentral, doch operative Tätigkeiten wandern zu autonomen Systemen. Ein Beispiel aus der Praxis: Im Compliance-Bereich der UBS konnten mithilfe von KI rund 20 Prozent der falsch kategorisierten Risikokontrollen identifiziert und korrigiert werden – etwas, das Menschen allein kaum leisten könnten.

Linkes Foto: Matthias Müller, Fabio Anghileri, Julian Jobstreibizer
ADONIS & UiPath: Prozesse orchestrieren, nicht nur automatisieren
Im gemeinsamen Workshop von UiPath und der BOC Group wurde „Agentic AI” greifbar. Im Zentrum stand die BPM-Suite ADONIS als strategische Ausgangsbasis und UiPath als Plattform, die Bots, Menschen und Agenten orchestriert. „Automatisierung allein reicht nicht“, betonte Julian Jobstreibizer. „Es braucht Orchestrierung – und die beginnt bei einer sauberen Prozessdokumentation.“ Genau hier entfaltet ADONIS seine Stärke, indem es Prozesse analysiert und Potenziale für Agentic AI erkennt. Matthias Müller von UiPath ergänzte: „Wer seine Prozesslandschaft kennt, kann den Einsatz von Bots, RPA und KI systematisch planen – mit echtem Mehrwert für Mitarbeitende und Kunden.“ Der Workshop zeigte, dass Prozesswissen nicht nur die Grundlage, sondern auch die Voraussetzung für echten KI-Nutzen ist.

Von links nach rechts: Leon Müller, Alexander Finger, Michael Stadler,
Georg Landlotz, Prof. Dr. Jan Marco Leimeister
Podiumsdiskussion: Führung, Mut und die Rolle des Menschen
In der abschließenden Diskussion wurde der rote Faden der Veranstaltung noch einmal deutlich: Agentic AI ist kein IT-Thema, sondern ein kulturelles. Leon Müller von der HSG moderierte ein Gespräch, das die wahren Herausforderungen beleuchtete. Georg Langlotz forderte: „Führungskräfte müssen künftig auch Agenten führen können.“ Alexander Finger von SAP Schweiz stellte klar: „Die größten Veränderungen sehen wir nicht in der IT, sondern in den Bereichen HR, Legal und Finance.“ Michael Stadler von Karl Storz betonte: „Wer mit Agenten arbeitet, muss klar sagen können, was er will.“ Und nochmals Finger: „Ohne Rückhalt vom Management und die Bereitschaft, Fehler zuzulassen, bleibt KI ein Trend – kein Werkzeug.“
Fazit: Eine Einladung zum Handeln
Das 54. St. Galler Anwenderforum war mehr als nur ein Branchentreffen – es bot einen Ausblick auf die Zukunft. Die Universität St. Gallen verband Theorie und Praxis auf eine Weise, die inspiriert und mobilisiert. Swisscom bewies Mut, Karl Storz zeigte Struktur und die UBS strategische Klarheit. Mit ADONIS wurde spürbar, wie wichtig Transparenz und Prozesswissen sind, um Agentic AI im Unternehmen zu etablieren.
Wer dabei war, ging mit mehr als nur Notizen nach Hause. Man ging mit einer Motivation zum Aufbruch.

Von links nach rechts: Alexander Kleinsasser, Julian Jobstreibizer,
Fabio Anghileri, Matthias Müller, Sandro Gerussi